Aktuelles aus der Tinnitus-Forschung

Ein spezielles Hörtraining mit abgewandelter Musik wurde in den letzten Jahren in Münster entwickelt: Bei dieser Musiktherapie wird die Tinnitus-­Frequenz bestimmt und dann wird diese Frequenz aus der Lieblingsmusik des Patienten herausgefiltert und derart verändert über mehrere Stunden am Tag gehört. Nach ersten Untersuchungen an kleinen Patientenzahlen scheint diese Therapie bei bestimmten Patienten zu Verbesserungen der Tinnitus-Belastung zu führen (Pantev et al., 2012), allerdings nur bei Patienten, deren Tinnitus unterhalb 8 kHz lag (Teismann, 2011). Diese Therapie wurde zusätzlich in einer Studie gepaart mit tDCS, also einer direkten Gleichstromelektrostimulation. 32 Tinnitus-Patienten wurden unterschiedlich (kathodisch und anodisch oder sham-placebo) stimuliert und hörten parallel die spezifische Musiktherapie für zehn Tage. Bezüglich der Tinnitus-Belastung ergaben sich jedoch keine Unterschiede (Teismann et al., 2014).

Eine ergänzende Arbeit untersuchte die neuroplastischen Veränderungen der spezifischen Tinnitus-Musiktherapie und verglich sie mit Patienten, die aktiv musizieren. Nur die Patienten, die speziell veränderte Musik hörten, verbesserten sich, nicht die aktiv musizierenden (Pape et al., 2014). Die Autoren bezeichnen die Therapie als „tailor-made notched music training“ (TMNMT) und postulieren eine Förderung der „rehabilitativen Plastizität“. Als besondere Schwierigkeit wird die exakte und vor allem reproduzierbare Bestimmung der Tinnitus-Frequenz angegeben, was besonders für musikalisch ungeübte Patienten nicht einfach ist. Außerdem darf naturgemäß kein deutlicher Hörverlust vorliegen, in den Studien galt als Grenze 35 dB, da ja die Stimulusfrequenzen auch tatsächlich gehört werden müssen.

Bereits in den 80er-Jahren wurde ein ähnliches Vorgehen propagiert („Tinnicur“) – hier wurde spezielle Musik in der Tinnitus-Frequenz steilflankig abgeschnitten und so die Habituation dieses Störgeräusches in der – an sich schönen – Musik zu fördern versucht, ohne dass sich allerdings wissenschaftliche Belege dafür finden ließen. Mit dem jetzigen, daher nicht wesentlich neuen Ansatz sind bei kleinen Patientenzahlen Verbesserungen nur sehr kurzzeitig zu erzielen und nur bei nicht hochfrequentem Tinnitus.

„Tinnitracks“
Gleichwohl ist bereits ein Gerät für diese Therapie im Handel; es wird allerdings nicht von den Wissenschaftlern, die die Studie durchgeführt haben, vermarktet. Vielmehr wird die in den Medien wieder einmal sehr vorschnell propagierte Methode („Tinnitracks“) als besonders innovativ eingestuft, nutzt sie doch Smartphone-Applikationen („Apps“), die der Patient gegen eine Jahresgebühr (nach unserem Kenntnisstand derzeit ca. 500‒600 €) nutzen kann. Das Bestimmen der Tinnitus-Frequenz erfolgt über das Internet durch den Patienten selbst oder, was aber noch nicht umgesetzt werden kann, über HNO-Ärzte oder Akustiker. Studien für diese Variante liegen gar nicht vor, die „Erfinder“ der Software werden jedoch als besonders innovativ gefördert, obwohl sie offenbar keinerlei Berechtigung haben, tatsächlich eine Therapie anzubieten. Mittlerweile scheint es schon vereinzelt (in Hamburg) Verträge mit Krankenkassen zu geben, obwohl nach unserem Wissen keinerlei Beweise über die Wirksamkeit vorliegen, ja nicht einmal Unbedenklichkeitsstudien und Angaben zu Nebenwirkungen für diese vollmundig als Therapie“ beschriebene Musikverfremdung vorgelegt wurden.

Mittlerweile gibt es auch mindestens zwei weitere vergleichbare „Apps“, die denselben Behandlungsansatz verfolgen und Musik in der Tinnitus-Frequenz verfremden, das „Tinnease“ und „My noise“ – allerdings haben diese Firmen es wohl noch nicht geschafft, Verträge mit Kostenträgern abzuschließen.

Neue, aktuelle Studie zu dieser Therapie
Ganz aktuell ist im April 2016 jetzt eine klinische Studie veröffentlicht worden, die diese Therapie der verfremdeten Musik (Tailor-made notched music training – TMNMT) in einer doppelblinden, placebokontrollierten Studie untersucht, und zwar mit relativ aussagekräftigen Patientenzahlen. 50 Patienten mit chronischem tonalen Tinnitus hörten die in der Tinnitus-Frequenz verfremdete Musik zwei Stunden täglich für drei Monate, 50 Patienten hörten Musik mit einer anderen Verfremdung, unabhängig von der jeweiligen Tinnitus-Frequenz. Dabei veränderten sich die Ergebnisse im Tinnitusfragebogen nicht signifikant, vielmehr waren bei der Behandlungsgruppe sogar die Stresslevel stärker erhöht als in der Placebogruppe. In einer Nachbetrachtung wurde dann aber gesagt, dass die Lautheit des Tinnitus, erfasst durch sogenannte visuelle Analogskalen, in der Behandlungsgruppe etwas geringer war als in der Placebogruppe, er war allerdings genauso belastend. Auch diese Veränderung war nicht bedeutend und hat nach anderen Veröffentlichungen ohnehin in Bezug auf die konkrete Belastung durch den Tinnitus keine Relevanz.

Die Studie ist insgesamt sauber und kommt aus der Uniklinik Münster, in der diese Therapieform ja auch entwickelt worden ist (Stein et al., BMC Neurology (2016). 16: 38).

Sie belegt u. E., dass „Tinnitracks“ und ähnliche „Apps“ keinen Effekt auf die Tinnitus-Belastung haben.

Prof. Dr. Gerhard Hesse, Sprecher des Fachlichen Beirats der Deutschen Tinnitus-Liga e. V.,
Prof. Dr. Gerhard Goebel, erster stellvertretender Sprecher des Fachlichen Beirats der Deutschen Tinnitus-Liga e. V.
Wuppertal, im Juni 2016

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